Autismus
Medizinisch betrachtet
Die Autismus-Spektrum-Störung (ASS) gehört zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen und ist charakterisiert durch Auffälligkeiten sowohl in der sozialen Interaktion als auch in der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Neurobiologische Untersuchungen zeigen, dass sich die Entwicklung und die Struktur autistischer Gehirne von denen nicht-autistischer Menschen unterscheiden.
Gemäß des Klassifikationssystems ICD-10 (WHO, 1992) wird im Bereich der Autismus-Spektrum-Störungen in Frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und Atypischer Autismus unterschieden. Die aktualisierte Version die ICD-11 (WHO, 2019) und das DSM-5 (APA, 2013) fasst verschiedene Ausprägungen unter der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung zusammen.
Um eine entsprechende Diagnose zu erhalten, muss eine bestimmte Anzahl folgender Kriterien erfüllt sein:
- Defizite in der sozialen Interaktion und (sozialen) Kommunikation
- restriktive, repetitive Verhaltensweisen
- eingeschränkte Interessen
- bestehen der Symptome seit der frühen Kindheit
- eine bedeutsame Beeinträchtigung in alltäglichen Funktionsbereichen durch die Symptome
Sozial betrachtet
Der Begriff „Störung” wirkt auf viele autistische Personen abwertend und nicht zutreffend. Aus diesem Grund haben sich seit den letzten Jahrzehnten immer mehr autistische Menschen dafür ausgesprochen die Abweichung von der Norm oder ein „Anderssein” nicht als Störung zu bezeichnen, sondern als Besonderheit. So entstand auch der Begriff „neurotypisch” (NT), als Gegenkonzept von „autistisch”. Als neurotypisch werden Personen bezeichnet deren Wahrnehmung und Verhalten dem entspricht, was in der Gesellschaft als „normal“ angesehen wird.
Die Grundlagen der Diagnose bilden aktuell die Kriterien der Klassifikationssysteme für Krankheiten und verwandte Gesundheitsprobleme (siehe ICD und DSM). Diese legen den Fokus auf das Verhalten und die Defizite der Personen. Interessenverbände und Gemeinschaften autistischer Menschen orientieren sich bei der Beschreibung von Autismus jedoch mehr an dem Erleben. Autismus wird als eine andere Weise der Kommunikation und soziale Kontakte zu führen, des Denkens, der Wahrnehmungsverarbeitung, andere Bewegungsmuster, beschrieben. Interessenverbände und Gemeinschaften autistischer Menschen fordern daher, dass das Erleben und die Sichtweisen autistischer Menschen anerkannt werden und auch als Grundlage des Verständnis von Autismus dienen.
Das soziale Umfeld, in welchem autistische Menschen aufwachsen und leben, prägen ihr Verhalten und auch ihre Selbstwahrnehmung. Begegnen wir unserem Gegenüber mit einer Haltung der Ablehnung, weil Verhaltensweisen nicht dem entsprechen, was wir erwarten, macht das etwas mit einer Person. Wir können aktiv beeinflussen, wie wir Menschen begegnen, deren Verhalten uns neu erscheint und was wir aus dieser Begegnung mitnehmen. Das Leben in einer einer Gesellschaft beinhaltet natürlich, dass jede Person sich mal mehr und mal weniger an sein Umfeld anpasst. An wen, wann und wie oft das passiert, sollte jedoch nicht einseitig erwartet werden und ausbalanciert bleiben.
Fragen und Antworten
Wie wird Autismus festgestellt?
Warum spricht man vom Autismus als Spektrum?
Was ist der Frühkindliche Autismus?
Was ist das Asperger Syndrom?
Sagt man autistisch, mit Autismus, Autismus-Spektrum-Störung, Autist/Autistin?
Wie viele autistische Menschen gibt es in Deutschland?
Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede?
Gibt es mehr autistische Menschen als früher?
Was ist die Ursache für Autismus?
Ist Autismus etwas Schlechtes?
Ist Autismus heilbar?
Braucht jeder Mensch mit Autismus eine Therapie?
Vorurteile, aufgepasst…

Autistische Menschen wollen gar keine sozialen Kontakte
Viele autistische Menschen haben das Bedürfnis nach sozialen Kontakten. Ihr Verhalten wird jedoch häufig fehlinterpretiert, da sie soziale Interaktionen auf eine andere Art führen, als allgemein erwartet oder sie nicht aktiv den Kontakt aufnehmen (können).
Menschen mit Autismus haben keine Gefühle
Das ist falsch. Autistische Menschen können dasselbe Spektrum an Gefühlen wie nicht-autistische Personen fühlen, nur zeigen sie es eventuell auf eine andere Art, als die Gesellschaft es gewohnt ist.
Autistische Menschen sind unempathisch
Autistische Menschen haben Empathie. Nicht jede autistische Person kann die Emotion einer anderen Person erkennen und dementsprechend handeln. Dadurch können Missverständnisse entstehen und andere Personen denken, die autistische Person sei gefühlskalt.
Autistische Menschen sind hochbegabt
Autistische Menschen können hochbegabt sein, wie auch nicht-autistische Menschen, jedoch ist nicht jeder Autist gleich auch hochbegabt. Dieses Vorurteil belastet viele autistische Menschen, da sie dadurch mit Erwartungen konfrontiert werden, die nicht jeder/jede erfüllt.
Autistische Menschen, die nicht sprechen, verstehen auch nichts
Es gibt autistische Menschen, die nicht durch Worte kommunizieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie andere Menschen nicht verstehen. Das Sprachverständnis kann eingeschränkt sein, jedoch sollte man vorsichtig damit sein anzunehmen, dass die Person einen nicht versteht.
Autismus ist ein Problem der Erziehung
Leider werden Eltern noch immer mit dem Vorurteil konfrontiert, dass Autismus ein Problem der Erziehung sei. Dies ist nicht der Fall.
Autistische Kinder können nicht lernen
Vor allem Eltern, deren Kinder früh mit Autismus diagnostiziert werden, bekommen häufiger das Gefühl vermittelt, ihr Kind werde nicht lernen oder sich in irgendeiner Weise weiterentwickeln können. Das verletzt nicht nur die Gefühle der Eltern und sicher auch der Kinder, sondern schafft Grenzen und Einschränkungen, wo keine sein sollten. Kinder mit Autismus können natürlich lernen, Fähigkeiten erwerben und sich weiterentwickeln. Jedes Kind in seinem eigenen Tempo und, wenn das Umfeld bereit ist geeignete Lernbedingungen zu schaffen.
Autistische Menschen sind geistig behindert
Es gibt Menschen mit Autismus, die auch eine geistige Behinderung haben, aber nicht alle autistische Menschen haben eine geistige Behinderung.
Autisten sind sehr intelligent
Das Intelligenzniveau bei autistischen Menschen kann unterschiedlich sein. Grundsätzlich fällt auf, dass es schwierig sein kann den IQ festzustellen. IQ Testungen sind häufig nicht auf die Bedürfnisse von autistischen Personen angepasst, so dass z.B. Aufgabenstellungen nicht verstanden werden, das Mitmachen durch fremde Personen und Umgebungen beeinträchtigt wird oder Einschränkungen in der Sprache die Aufgaben erschweren.
Was kann helfen?
Natürlich ist kein Mensch völlig frei von Erwartungen an andere. Werden unsere Erwartungen nicht erfüllt, dann sollten wir jedoch dem, was wir (noch) nicht kennen, offen und wertfrei begegnen. Lasst uns also mutig sein, von- und miteinander zu lernen.